Der Prozess um Uli Hoeneß hat viele Wellen geschlagen. Die ZEIT ONLINE schrieb vor kurzem, dass das Strafmaß relativ hoch sei und zeigte dazu nebenstehende Grafik. Gemessen an dem, was die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, ist der Richterspruch noch relativ milde, aber trotzdem liegt die Strafdauer noch über der durchschnittlichen Dauer für Vergewaltigung, Raub oder Erpressung.
Interessant auch die Reaktion, die der Prozess in der Gesellschaft hervorgerufen hat: Viele haben das Urteil bejubelt, vermutlich dabei weniger aus ethischen Bedenken sondern aus Missgunst. „Da hat jemand was, das wir nicht haben, und nun soll er dafür büßen, dass er etwas getan hat, was wir niemals tun würden!“ Viele waren also mit dem hohen Strafmaß einverstanden, aber gleichzeitig stand die Frage im Raum: Wieso wird ein Totschläger kürzer bestraft als einer, der „nur“ Steuern hinterzogen hat? Wo ist da die Verhältnismäßigkeit?
Als ich die Juristerei studiert habe, gab es einen Moment, in dem ich sehr perplex war. Bis dann bei mir der Groschen fiel und ich verstand, wie die deutschen Strafgesetze eigentlich ticken.
Es ging um das Thema Fahrerflucht: Wenn ich ein anderes Auto schramme, und dessen Fahrer ist nicht in der Nähe, reicht es dann, wenn ich meine Visitenkarte hinter den Scheibenwischer klemme? Wieso muss ich denn vor Ort sein, bis die Polizei kommt? Kann ich mir nicht einfach das Kennzeichen merken und herausfinden, wer der Fahrer ist, damit ich ihm seinen Schaden ersetzen kann?
Was ist eigentlich der Grund, so fragte ich mich, weshalb Fahrerflucht unter Strafe gestellt wird? Oder im Juristendeutsch: Was ist hier das geschützte Rechtsgut? Spontan würde man sicher denken: Derjenige, der geschädigt wurde, muss geschützt werden. Wer so denkt, für den ist es in Ordnung, eine Visitenkarte unter den Scheibenwischer zu klemmen.
Aber weit gefehlt! Das geschützte Rechtsgut ist hier nicht der Geschädigte, der eine neue Autotür bekommt, sondern es ist der Strafanspruch des Staates! Dem Staat ist es hier egal, ob dem anderen Autofahrer ein Schaden entstanden ist, es geht ihm vielmehr darum, seinen Strafanspruch durchsetzen zu können. Deshalb ist es im Auge des Staates ein Delikt, wenn ich mich entferne. Nicht weil der Geschädigte dann sein Geld nicht bekommt sondern weil ich es dem Staat erschwere oder unmöglich mache, mich zu bestrafen!
Und so leben wir noch immer im alten Preußen, im Obrigkeitsdenken, und das sehen wir auch hier beim Fall Hoeneß. Er hat nicht dem Bürger etwas weggenommen, sondern dem Staat, und das will der sich gar nicht gefallen lassen!
Ein Steuerprofessor sagte einmal: „Steuerhinterziehung sollte so lange nicht strafbar sein, wie Steuerverschwendung nicht strafbar ist.“ Und tatsächlich werden Steuern in hohem Maße verschwendet, aber an den Schaltstellen schert sich niemand darum. Also geht es nicht um das Geld selbst!
Hoeneß (und andere) werden nicht bestraft, weil sie dem Staat das Geld vorenthalten haben, sondern weil er dem Staat nicht gehorcht hat.
In der Schweiz zum Beispiel ist das anders. Da fragt man sich: Hat man den Bürgern, dem Gemeinwohl geschadet? Und dementsprechend wird die Strafe bemessen. In Deutschland haben wir da wohl noch ein bisschen zu tun. Es gibt eben kaum Volks-Diener, es gibt nur Staats-Diener, und die sollen wir alle sein, bis dahin dass böse Zungen behaupten, Deutschland hat statt einer ID Card einen Personal-Ausweis, weil wir alle noch Personal sind und dem „König“ gehören.